Anhörung im Bundestag zu Open Source
Von Adriana Groh
Am 4. Dezember 2024 hat der Digitalausschuss eine Expertenanhörung über Open Source einberufen. Adriana Groh, CEO der Sovereign Tech Agency, war als Sachverständige eingeladen, um ihre Perspektiven und Fachwissen zu teilen. Hier wird das Eingangsstatement und die vollständige Stellungnahme veröffentlicht.
Neben der schriftlichen Stellungnahme auf den Fragenkatalog (PDF) möchte ich drei wichtige Punkte zusammenfassen und betonen.
- Open-Source-Softwarekomponenten dienen als digitale Infrastruktur unserem modernen Leben und sind genau wie physische Infrastruktur für uns als Gesellschaft unerlässlich.
- Open Source hat sich als die erfolgreichste Strategie für Softwareentwicklung durchgesetzt und ist daher keine Frage von Vorlieben, sondern die de facto Grundlage für die Nutzung und Gestaltung von praktisch aller Software.
- Der Erhalt und die Stärkung des Open-Source-Ökosystems liegt in unserem gesellschaftlichen Interesse und wir brauchen dementsprechend die dafür geeigneten Instrumente und Prozesse.
Ich gehe auf die einzelnen Punkte noch etwas genauer ein:
Open-Source-Softwarekomponenten als digitale Infrastruktur
Um die Bedeutung von Open-Source-Software als digitale Infrastruktur zu verdeutlichen, möchte ich einen einfachen Vergleich heranziehen: Offene digitale Infrastruktur ist wie die Straßen und Brücken der digitalen Welt. Genau wie physische Infrastruktur unsere Städte verbindet, unsere Wirtschaft antreibt und unser tägliches Leben unterstützt, ermöglicht digitale Infrastruktur den reibungslosen Fluss von Informationen und Diensten, die Verwaltung, Handel und das Gemeinwohl stützen.
Während wir uns der Notwendigkeit bewusst sind, physische Infrastruktur zu erhalten, fehlt oft das gleiche Verständnis für digitale Infrastruktur. Und genauso wie Straßen und Brücken kontinuierliche Pflege erfordern – etwa durch neue Beläge oder Verstärkung gegen Abnutzung – braucht auch digitale Software-Infrastruktur ständige Wartung. Wartung mag keine Schlagzeilen machen, aber sie ist unerlässlich. Ohne sie entstehen Risse, Schwächen breiten sich aus, und die Systeme, auf die wir angewiesen sind, drohen zusammenzubrechen.
Das Open-Source-Ökosystem steht genau vor dieser Herausforderung. Es ist ein globales Gemeingut, das von einer vielfältigen Gemeinschaft von Mitwirkenden getragen wird. Open Source ist weit mehr als nur eine Lizenzfrage – es verkörpert eine Philosophie der Zusammenarbeit, Teilhabe und Offenheit. Es geht nicht nur darum, Software für andere bereit zu stellen, es geht auch darum, Software gemeinsam zu entwickeln. Offene digitale Infrastruktur, basierend auf Open-Source-Software, gedeiht in einem kollaborativen und partizipativen Ökosystem. Dieser Ansatz fördert Innovation, Wettbewerb und Nachhaltigkeit, indem er Beiträge verschiedener Akteure einbindet und gemeinsame Verantwortung sowie kollektiven Nutzen in den Mittelpunkt stellt.
Allerdings ruhen viele der wichtigsten Bestandteile auf fragilen Fundamenten. Weit verbreitete Bibliotheken, Entwicklerwerkzeuge und Frameworks, die sowohl öffentliche als auch private digitale Systeme stützen, werden oft von kleinen, unterfinanzierten Teams oder einzelnen Freiwilligen getragen. Diese strukturelle Schwäche birgt systemische Risiken. Eine einzige Schwachstelle in einer zentralen Komponente kann sich durch vernetzte Systeme ausbreiten und Sicherheit sowie Funktionalität gefährden.
Open-Source-Software als Erfolgsstrategie
Keine neue Softwareentwicklung, keine Innovation, fängt bei 0 an. Die Vorteile von Open-Source-Software - schnellere Innovationszyklen, bessere Nachnutzbarkeit, mehr Nachhaltigkeit und höhere Sicherheit - haben dazu geführt, dass Open-Source-Software die Grundlage unseres modernen Lebens geworden ist und überall Anwendung findet. Open Source ist aber mehr als eine technische oder wirtschaftliche Entscheidung – es ist eine strategische. Open Source verkörpert die Prinzipien von Transparenz, Zusammenarbeit und Unabhängigkeit. Diese Werte stehen in enger Verbindung mit Demokratie und Souveränität. Durch die Verringerung der Abhängigkeit von Einzelnen und der Stärkung von Partizipation und Vielfalt ermöglicht Open Source, die Kontrolle über unsere digitale Infrastruktur zu behalten, wirtschaftliche und geopolitische Risiken zu mindern und Innovationen zu fördern, die auf individuelle und gesellschaftliche Bedürfnisse zugeschnitten sind.
Wenn wir Open Source als mehr als nur eine Lizenzfrage verstehen und dementsprechende Ressourcen und Kompetenzen aufbauen, können sich vielfaltige positiven Effekte entfalten. Open Source kann dann als Handlungsanleitung verstanden werden - sozusagen ein Open-Source-Spirit. Wir nutzen nicht nur Technologie, wir übertragen die kollaborativen, innovativen und nachhaltigen Prozesse aus der Open-Source-Softwareentwicklung auf Zusammenarbeit ingesamt und eröffnen damit ganz neue Möglichkeiten.
Open Source ist auch nicht nur eine Sammlung von Werkzeugen oder isolierten Softwarelösungen; es ist ein Gemeingut und ein mächtiger politischer Hebel. Indem wir nachhaltige Finanzierung und strategische Investitionen in die Menschen, Projekte und Gemeinschaften hinter unserer digitalen Infrastruktur priorisieren, können wir eine sichere, widerstandsfähige und innovative Grundlage für unsere digitale Zukunft schaffen.
Das Open-Source-Ökosystems liegt in unserem gesellschaftlichen Interesse
Wir müssen die strukturellen Risiken, großen Potentiale und die Realität von Open-Source-Software als digitale Infrastruktur mit einem ganzheitlichen Ansatz adressieren.
Zu den kurzfristigen Zielen gehört die Entwicklung maßgeschneiderter Unterstützungsformate für das Open-Source-Ökosystem. Es geht darum, die kritischen bestehenden Basistechnologien im gesellschaftlichen Interesse und als Grundlage für Wirtschaft und Verwaltung abzusichern. Es geht aber auch darum, sich auf kommende Herausforderungen vorzubereiten, wie die Umstellung auf Post-Quanten-Kryptografie – ein komplexer, langfristiger Wandel, bei dem Open-Source-Lösungen eine zentrale Rolle spielen werden.
Mittelfristig müssen wir strukturelle Schwächen im Ökosystem adressieren. Die heutige Open-Source-Wartung ist oft ad hoc, von Freiwilligen getragen und in vielen Fällen nicht nachhaltig. Um diese Probleme zu beheben brauchen wir ein Portfolio aufeinander abgestimmt Instrumente, um zum Beispiel Nachwuchsgewinnung und Diversität zu fördern, nachhaltige Governance-Strukturen zu entwickeln und Strukturen und Open-Source-Strategien in und zwischen Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft aufzubauen.
Langfristig müssen wir das Open-Source-Ökosystem als digitale Infrastruktur genauso anerkennen und unterstützen wie physische Infrastruktur. Wir müssen digitalen Daseinsvorsorge als die Bereitstellung digitaler Dienstleistungen im öffentlichen Interesse verstehen und sicherstellen. Durch den Nachweis des Werts von Investitionen in Infrastruktur und Wartung – nicht nur in neue Innovationen – wollen wir ein starkes, gut finanziertes und sicheres Open-Source-Ökosystem schaffen, das dem Gemeinwohl dient.
Unsere Vision ist klar
Eine resiliente und offene digitale Infrastruktur im öffentlichen Interesse. Um dies zu erreichen, besteht unsere Mission darin, die öffentlichen Institutionen und weiteren Strukturen aufzubauen, die notwendig sind, um dieses Fundament langfristig zu erhalten und zu stärken. Ich freue mich, heute gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen vom Zentrum für Digitale Souveränität, der Open Source Business Allianceund der Free Software Foundation Europe hier zu sein, die mit ihren Organisationen dazu beitragen, diese Vision zu verwirklichen.
Die Anhörung ansehen
Der Deutsche Bundestag hat die vollständige Aufzeichnung der Anhörung zu Open Source zur Verfügung gestellt, die unten eingebettet ist. Das Video ist in deutscher Sprache mit deutschen Untertiteln verfügbar.